Eine Tourenbeschreibung unserer Jukkasjærvi-Tour aus Teilnehmersicht.
Dieser Text wurde uns zur Verfügung gestellt von Jürgen Förster. Fotos: Jutta Förster
Traumhafter Trail
Donnerstag, der 16. März
Es ist kurz vor Mitternacht, minus 25º C. Ich liege im Schnee auf dem Rücken und sehe Millionen Sterne in einer unglaublichen Klarheit funkeln. Ich beobachte, wie ein unbekannter Bühnenregisseur immer wieder einen großen, grünlich schimmernden Scheinwerfer anknipst, die Himmelskuppel ableuchtet, abdimmt und an anderer Stelle das Schauspiel von vorne beginnt: Ein Polarlicht der Extraklasse geistert über den Himmel.
Nein, ich frage mich wirklich nicht, was ich hier eigentlich tue, ich weiß es ganz genau. In der gemütlichen Wärme meines Schlafsacks, begleitet vom Heulen der rechts von mir lagernden Hunde, streifen meine Gedanken zurück, wie alles anfing mit den Wintertouren in Skandinavien und speziell mit den Huskytrips in Nordnorwegen.
Wie alles begann
Da war vor einigen Jahren der erste Kontakt mit Hundeschlitten bei einer geführten Gruppentour in Schwedisch-Lappland; aber schon am nächsten Tag waren wir mit eigenem 6er-Schlitten und Guide auf einer Tagestour im Windelälv-Nationalpark unterwegs. Danach hatte Jutta und mich der “Schlittenhundevirus” voll und unwiderruflich erwischt.
Es folgten einige weitere Tagestouren, die uns aber bald nicht mehr zufriedenstellten und 1999 in einer ersten Wochentour bei Bjørn Klauer und Johnny Gunnberg in Innset vorerst endeten. Damals reifte auch der Plan zu einer zwölftägigen Jukkasjärvi-Expedition mit Johnny als Guide.
Organisiertes Chaos
Schnell waren Anke und Matthias für die Tour gewonnen, und am 7. März landeten wir alle bei heftigem Schneetreiben in Bardufoss. Das konnte ja heiter werden – die ersten Informationen hießen dann auch: “Schnee satt wie schon seit Jahren nicht mehr !” In Bjørns Gästehaus wurde es dann noch spannender: Wie würde er wohl sein, unser fünfter Teilnehmer? Wulf aber stellte sich schnell als äußerst patenter Kumpel heraus und hatte sogar das Abendessen bereits vorbereitet.
Die drei Neueinsteiger waren total unruhig, sollte es doch morgen nach bestandenem Ausrüstungs-Check endlich zu den Hunden gehen. Am nächsten Morgen gab Jonny Gunnberg dann allen eine ausführliche Einweisung in Geschirr- und Fahrkunde, und bald ging es per LKW mit sechs Schlitten, 40 Hunden und allem Gepäck zum Startplatz oberhalb von Innset. Was folgte, war eine Stunde des organisierten Chaos: Persönliches Gepäck, Verpflegung, Hundefutter und Material wie Äxte, Schaufeln, Sägen und Zelt (eine Neun-Meter-Tunnel-Spezialanfertigung von Jonny) türmen sich zu Bergen: unmöglich, dass das alles in sechs Schlitten Platz findet. Aber bei Johnny wird Unmögliches sofort erledigt, und bald sind die Schlitten zum Einschirren der Hunde bereit.
40 dynamitgefüllte Fellbündel sollen in die Geschirre und ruhig bis zum Start warten; das ist ein glatter Widerspruch in sich. Jutta und ich freuen uns, viele Mitglieder unserer letztjährigen Husky-Teams wieder übernehmen zu können. Da wir gleich vom ersten Tag an die Regel beherzigen: “Befehle den Hunden nichts ohne entsprechende Konsequenz”, klappt alles recht gut, und bald geht’s im Huskygalopp und mit viel Gebell auf den zugefrorenen Altevatn hinaus. Gerade unterwegs, löst sich auch das Schneegestöber auf, die Sonne kommt heraus und wird uns auch bis auf zwei ½-stündige Schneestürme auf dieser Tour nicht mehr im Stich lassen.
Nach 23 km kommt unser erstes Ziel, das von Bjørn und Johnny erbaute Lavvuu (ein traditionelles Lappenzelt) in Sicht: drinnen Birkenreisig als Einstreu, ein kleiner Bollerofen und einige Holzscheite – unsere Neulinge machen sich auf eine interessante Nacht bereit.
Einschub: Lageraufbau …
An dieser Stelle möchte ich beispielhaft den Ablauf einer Tagesankunft an Rastplatz einfügen:
Nach der Ankunft sucht jeder eine stabile Befestigung zum Anbinden des Schlittens, dann werden die Stake-Outs (Stahlseile zum Befestigen der Hunde) zwischen zwei Bäumen ausgebracht, die Hunde ausgeschirrt und an den Karabinerhaken eingeklinkt. Es folgt das Beziehen der Hütte oder Aufbau des Zeltes und erstes Anheizen der Öfen.
Jetzt tun eine warme Suppe und ein Tee mit Rum gut. Die Hunde müssen noch warten, bis sie sich etwa zwei Stunden beruhigt haben. Für die Spezialisten heißt es jetzt “raus zum Latrinenbau”; andere bereiten das tiefgefrorene Abendessen zu, und die Hundetruppe macht sich an die Zerkleinerung des Hundefutters. Dies wird in gefrorenen 20-Kilo-Platten mitgeführt – ein hochkalorienreicher Mix (5200 kj/Kilo) aus Schlachtabfällen, Robbenöl, Lachs, Mineralien, Vitaminen und Wasser. Mit dem Beil wird es in handliche 1-Kilo-Brocken zerlegt und aus sicherer Entfernung verabreicht. Das Spektakel aus Hüpfen, Jaulen und Bellen ist riesig, und nach drei Minuten ist kein Fitzelchen der gefrorenen Brocken mehr zu sehen.
Es folgt der gemütliche Teil des Abends mit weiteren Rum-Tees, bzw. Tee-Rums und Geschichten über Norwegen, Deutschland, die Natur und “Gott und die Welt”. Dazu dann noch Jonnys berühmt-berüchtigtes “Husky-Poker”, ein norwegisches Kartenspiel, das von uns so getauft und mit wachsender Begeisterung gespielt wurde. Der jeweilige Verlierer muss abspülen.
… Einschub Ende
Nach zwei Tagen in der beeindruckenden, jedoch eher herben und kargen norwegischen Landschaft mit durchschnittlich 28 km/Tag haben wir uns zum Grenzübertritt nach Schweden viel vorgenommen. Die nächste Hütte ist ca. 85 km entfernt und soll unser nächstes Ziel sein.
Früh um 9.00 Uhr geht’s los und mit wenigen Teepausen spulen wir Kilometer um Kilometer ab. Es ist unglaublich, was die Hunde leisten; jeder Schlitten mit Fahrer wiegt ca. 200 kg, aber sie ziehen unermüdlich, und bei jedem Stop drängen sie aufs Weiterfahren.
Langsam verändert sich die Landschaft. Die Berge werden runder und niedriger, der Wald wird dichter. Birken und Kiefern bilden immer größere Bestände, und wir sind froh, auf die in Schweden reichlich vorhandenen und gut markierten Schneescooter-Tracks ausweichen zu können. Als wir die Hütte mit dem letzten Tageslicht erreichen, müssen wir noch ca. 500 m Tiefschnee (brusthoch) überwinden und den Eingang eine ¼-Stunde lang freischaufeln. Der Rest ist dann nur noch im Schein der Stirnlampen zu erledigen. What a day!
Chicago, høyre
Der nächste Tag zu unserem Wendepunkt Jukkasjärvi bietet Schlittenhundefahren vom Feinsten: Blauer Himmel, Sonnenschein, nur –10° C und ein einfacher Trail über traumhaft schöne, zusammenhängende Seen, die “Großstadt” Kiruna weiträumig umfahrend. Aber kein Paradies ohne Schlange – die nähert sich uns nämlich in Form von zwei entgegenkommenden Skilangläufern mit je zwei vorgespannten Huskies. Obwohl sie uns mit großem Abstand passieren, meint mein sonst so zuverlässiger Leithund, dass es jetzt an der Zeit sei, nicht mehr den anderen zu folgen, sondern die vierbeinigen Kollegen dort drüben aufzumischen. “Chicago, høyre!! Chicago, høyre!!!”
Aber Chicago denkt gar nicht daran, meinem Befehl nachzukommen. Also Bremse rein, Schneeanker runter, Schlitten zur Sicherung darüber gelegt, und die Meinungsverschiedenheit wird mittels eines körperlichen Verweises zugunsten des zweibeinigen Bosses entschieden. “Befehle nichts ohne Konsequenz”. Weiter geht es natürlich wieder geradeaus, den anderen hinterher.
Die Fjäll-Räven-Adventure-Farm bei Jukkasjärvi ist für unsere Verhältnisse glatt der Hit. Fertige Stake-Outs und Hütten für die Hunde, eine richtige Toilette für uns und als Krönung eine feine Blockhaussauna. Im Nullkommanichts ist sie aus einem offenen Bachlauf mit Wasser versehen, angeheizt und bietet uns die erste Waschgelegenheit nach vier Tagen: Welch ein Genuss!
Wenn das Wasser für jede Tasse Tee aus Schnee geschmolzen werden muss, bleibt für die Körperpflege nur der morgen- oder abendliche Gang an die nächste Schneewehe, um sich dort im FKK-Outfit mit Schnee abzureiben. Bei –20° C ist das natürlich nicht jedermanns Sache.
Zelt und Biwaksack-Nächte
Weil wir bisher einen Tag gespart haben, verspricht uns Jonny den schwierigeren, aber auch viel schöneren Rückweg über den Dividal-Nationalpark. Eine unvergleichliche Landschaft und menschenleere Weiten bescheren uns unvergessliche Eindrücke und die ersten Zeltübernachtungen. Wider Erwarten sind diese gar nicht so übel und werden von uns zunehmend geschätzt.
Die Zeit vergeht wie im Flug, und schon sind wir in der Gaskas-Hütte, unserer letzten Station vor der Rückkehr nach Innset. Mit uns haben sich zwei weitere Deutsche hier einquartiert. Sie sind auf einer Ski- und Pulka-Tour von Abisko aus herübergekommen. Obwohl die Hütte groß genug ist, machen das überheizte Innere und ein fantastischer Sternenhimmel die mir Entscheidung leicht: Heute wird im Biwaksack draußen geschlafen! Schließlich müssen die Werbeversprechen der Hersteller ja auch mal getestet werden. Dass in dieser Nacht die Temperatur auf den tiefsten Wert der Tour sinkt (–27° C), macht die Sache ja nur noch spannender. Die Versprechen werden gehalten, und ich bin um eine Erfahrung reicher. Für die Zukunft hat die Übernachtung im Freien ihren Schrecken für mich verloren und wird sicher öfter zu meinem Repertoire gehören.
Die restliche Zeit vergeht viel zu schnell, und schließlich sagen wie Jonny “Goodbye”. Mit seinen drei Statements hat er uns jederzeit sicher durch dieses Abenteuer geleitet:
1) “That’s nothing”!
2) “Perfect”!
3) “Everybody can learn”!
Fünf glückliche Teilnehmer schmieden schon wieder Pläne für die nächste Tour in ein oder zwei Jahren. Möglichst natürlich in gleicher Besetzung, denn für jeden von uns hat der Spruch “Gebt mir Hunde, gebt mir Schnee; alles andere könnt ihr behalten!” eine starke individuelle Bedeutung erhalten.
Kebnekaise, wir kommen!!!
PS: Jonny Gunnberg war langjähriger Partner der Huskyfarm Innset. Inzwischen hat er sich aus Altersgründen zur Ruhe gesetzt.